Auszüge aus einem Interview mit dem Magazin Akzent (erschienen Mai 2024, Fragen von Stefanie Göttlich). Das gesamte Interview finden Sie hier.
SIND WIR NOCH ECHT?
Hannes Weiler, der hier zuletzt sehr erfolgreich mit „Quijote“ überzeugte, inszeniert am Theater Konstanz „Das Bildnis nach Motiven des Dorian Gray“. Die Uraufführung findet am 25. Mai in der Spiegelhalle statt.
In Oscar Wildes Original besitzt Dorian Gray ein Porträt, das statt seiner altert, während sein Äußeres jung und makellos schön bleibt. Hannes Weiler und sein Team befragen den Klassiker der Weltliteratur auf neue Perspektiven und übersetzen ihn in die heutige Zeit. Das Publikum kann sich auf einen höchst unterhaltsamen Abend mit einer lebendigen und sicherlich erkenntnisreichen Auseinandersetzung freuen.
akzent: Sind die Konflikte, die Dorian Gray durchlebt, heute noch aktuell?
Hannes Weiler: Es gibt Konflikte im Roman, mit denen ich viel anfangen kann und die ich auch um mich herum sehe, beispielsweise der Konflikt zwischen gesellschaftlicher Anpassung und Individualismus. Dorian lebt wie wir in einer Gesellschaft und in einer Bubble, die werteorientiert funktioniert, mit großen Geboten und Verboten und vielen kleinen und kleinsten Regeln, Konventionen, Aufforderungen, Trends, die sich bis ins kleinste Private ziehen. Dorian Gray gerät an eine Figur, die all das zur Disposition und ihm eine Art Hyperindividualismus-Theorie zur Verfügung stellt: „Sei wer du bist, du selbst bist dein ganzes Kapital, lebe dich aus, nimm, was dir Spaß macht, und nimm keine Rücksicht auf Verluste.“ Also mal ganz vereinfacht gesprochen.
Für Dorian würde wahrscheinlich alles gut laufen, wenn er seine Theorie tatsächlich verinnerlicht hätte. Aber wenn er eine „Sünde“ begeht und tagsüber sagt: „Sünde ist keine Sünde“, dann kommt sie nachts eben doch durch die Hintertür und raubt ihm den Schlaf. Die Frage ist, wie weit kann ich mich entfernen von gemeinsamen Vereinbarungen, ohne selbst ein Problem mit mir zu bekommen? Da
steckt natürlich super viel Selbstbezüglichkeit drin.
akzent: Selbstinszenierung gerade in den sozialen Medien ist ein großes Thema. Ein Wunsch-Ebenbild ist heute mithilfe von Bildbearbeitungsprogrammen schnell erstellt. Wie echt sind wir noch?
Hannes Weiler: Ja, das ist eine schöne Frage, keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass ich echter oder unechter geworden bin in den letzten Jahren. Es gibt sicher mehr Möglichkeiten, sich vielfältiger aufzustellen. Online gibt’s schöne Gelegenheiten, analog lässt sich auch einiges machen. Ich habe den Eindruck, es ist spielerischer geworden. Ich kann in unterschiedlichsten Kontexten Personas kreieren, die mit der Person, von der ich denke, sie sei vielleicht meine, mehr oder weniger zu tun haben.
Ich glaube, wir inszenieren uns schon immer permanent selbst und performen das, was wir denken zu sein, mit einem Schluck von dem, was wir wünschen zu sein und einer Portion von dem, was andere in uns sehen sollen, wenn sie uns sehen.